Hausaufgaben by Arjouni Jakob

Hausaufgaben by Arjouni Jakob

Autor:Arjouni, Jakob [Arjouni, Jakob]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978-3-257-60369-9
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-01-11T05:00:00+00:00


[96] 6

»Guten Tag, Kaufmann. Spreche ich mit Herrn Linde?«

Er kannte die Stimme nicht. »Ja, Linde.«

»Ich rufe an wegen den Vorkommnissen in Ihrem Unterricht.«

Ach so, Sonjas Mutter. »Natürlich, klar.« Die hatte ihm gerade noch gefehlt. »Ich dachte mir schon, daß Sonja von der Stunde heute zu Hause erzählen würde…«

»Das hat sie.«

Linde beeilte sich: »Und ich verstehe Ihre Empörung. Aber seien Sie beruhigt: Ich habe beim Schulleiter gleich im Anschluß an die Stunde darauf gedrungen, daß wir sofort eine Sonderkonferenz einberufen, um den Fall zu besprechen. Glauben Sie mir, das wird für Oliver Jonker ernsthafte Folgen haben. Ich denke, sein weiterer Verbleib an unserer Schule ist sehr fraglich.«

»Herr Linde, ich rufe nicht wegen eines siebzehnjährigen Miststücks an, ich rufe wegen Ihnen an.«

[97] »Bitte?«

»Sonja hat mir gerade erzählt, welche Weisheiten Sie während Ihres Unterrichts zu verbreiten pflegen und damit ganz offenbar für ein Klima sorgen, in dem Ausbrüche wie die von Oliver Jonker und diesem Cornelius Sowieso mir keine große Überraschung zu sein scheinen!«

»Hohenruh«, sagte Linde, verdattert über Frau Kaufmanns heftigen Ton.

»Was?«

»Cornelius Hohenruh. Früher von Hohenruh, aber das ›von‹ hat die Familie abgelegt. Der Vater ist Anwalt.«

»Sagen Sie, sind Sie betrunken?«

»Ob ich… Frau Kaufmann…!«

»Stimmt es zum Beispiel, daß Sie in den letzten Wochen mehrmals vor der Klasse die Meinung vertreten haben, die Juden seien schuld daran, daß nicht endlich Gras über die Verbrechen der Deutschen wachsen könne?«

»Entschuldigen Sie, aber…« Linde setzte sich im Stuhl auf. Was für eine unverschämte Person! »So ein Unsinn! Erstens würde ich so nie reden, und zweitens ist das völlig aus dem Zusammenhang gerissen.«

»Ja, was denn nun?«

Mein Gott! Aber jetzt wußte er endlich, woher [98] Sonja ihren Ton und die Art hatte, Gespräche wie Verhöre zu führen.

»Ich habe sicher nie von Schuld im Zusammenhang mit Juden gesprochen. Und eine so schnippische Formulierung wie ›Gras über die Sache wachsen lassen‹ käme mir bei dem ernsten Thema auch nicht in den Sinn.«

»Und welche kam Ihnen in den Sinn?«

»Bitte, Frau Kaufmann, wir haben verlängertes Wochenende, und ich muß zum Bahnhof. Wenn wir das nächsten Montag besprechen könnten…«

»Hören Sie, wenn es stimmt, was meine Tochter erzählt, ist das, was in Ihrem Unterricht passiert, für mich ein Skandal. Und wenn Sie jetzt nicht mit mir reden wollen, werde ich den Schulleiter anrufen. Und falls der auch nicht mit mir reden will – er soll ja ein alter Freund von Ihnen sein –, werde ich mich an eine Zeitung wenden.«

»Jetzt bleiben Sie – ich meine, beruhigen Sie sich doch! Sonja muß da irgendwas in den falschen Hals bekommen haben. Ich bin sicher, das läßt sich alles aufklären.«

»Ich auch. So oder so. Ich will verstehen, wie es dazu kommen konnte, daß in Ihrem Unterricht in derselben Stunde meinen Eltern der Tod in der Gaskammer gewünscht und Israel als neues Naziregime verteufelt wird!«

[99] »Nun…« Wieder schoß Linde durch den Kopf, ob Kaufmanns vielleicht jüdisch waren. »Beides waren emotionale Ausbrüche am Ende einer hitzigen Schülerdiskussion. So was kommt hin und wieder vor. Es handelt sich eben – selbst wenn sie nächstes Jahr Abitur machen – noch um Kinder. Die Bedeutungen mancher Reden und Positionen sind ihnen nicht immer bewußt.



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